Am nächsten Tag mache ich mich auf zum Bahnhof Budapest-Keleti, dem wahrscheinlich wichtigsten der Budapester Hauptbahnhöfe. Hier fährt heute mein Zug nach Arad ab. Arad liegt in Rumänien, nur ein kurzes Stück hinter der ungarischen Grenze.
Der Zug besteht aus vier ungarischen und zwei rumänischen Wagen, wobei letztere sogar in etwas besserem Zustand sind. Trotzdem sind die Sitze ziemlich durchgesessen und es könnte generell auch etwas sauberer sein. Neben mir sitzen zwei Polen, die an der rumänischen Schwarzmeerküste Urlaub machen wollen. Etwas weiter vorn sitzt ein Brite, weiter hinten ein Rumäne, der sich mit den Polen ganz hervorragend versteht. Der Wagen leert sich nach den ersten Halten in Ungarn deutlich und so bleiben wir als kleine sehr internationale Truppe übrig.
An der ungarisch-rumänischen Grenze bleibt der Zug länger stehen. Die erste Passkontrolle steht an. Auf meiner bisherigen Reise habe ich bereits drei Grenzen passiert, eine Kontrolle fand nirgends statt. Schengen sei Dank! Rumänien ist nicht Teil des Schengenraums, weil sich unter anderem Österreich aus scheinheiligen Gründen immer wieder dagegen ausgesprochen hat. Deshalb kommen nun zuerst einmal die ungarischen Beamten in den Zug, kontrollieren mit strengem Blick die Reisepässe und verlassen den Zug nach ein paar Minuten wieder. Währenddessen werden die ungarischen Wagen abgehängt und die Lok gewechselt. Mit nun nur noch zwei Wagen geht es hinein nach Rumänien.
»Welcome to the country of Dracula!«, ruft der rumänische Mitreisende zur Erheiterung der restlichen Fahrgäste. Die rumänischen Grenzbeamten sind dann deutlich entspannter, schauen nur kurz auf die Pässe und wünschen sogar nach jeder Kontrolle eine gute Fahrt.
Das Wetter ist warm und ich bin sehr aufgeregt. So richtig kann ich noch nicht glauben, dass ich wirklich in Rumänien bin.
Mich wundert, dass wir so früh in Arad ankommen, ab der Grenze soll es laut Fahrplan rund eine Stunde und zehn Minuten dauern. Die eine Stunde, so wird mir schnell klar, ist aber lediglich auf die Zeitzonengrenze zurückzuführen, die ich nun ebenfalls überquert habe. Ab sofort bin ich also eine Stunde in der Zukunft.
Draußen auf dem etwas trostlosen und sehr leeren Bahnhofsplatz kaufe ich an einem Automaten eine Straßenbahnfahrkarte. Ich weiß nicht, was mich in dieser Stadt erwartet, ob es sich überhaupt gelohnt hat, hier herzukommen. Arad ist nicht groß, knapp 150.000 Menschen wohnen hier, ein kurzes Stück hinter der Grenze zu Ungarn.
Nach einer kurzen Fahrt bin ich am Bulevardul Revoluției angekommen, der wichtigsten Straße der Stadt. Hier stehen sehr viele Sehenswürdigkeiten schon fast wie aufgereiht, wie etwa Theater, Kirchen oder der Palatul Administrativ, also das Rathaus. Gerade letzteres ist wirklich ein Palast. Es erstreckt sich prächtig an drei Seiten eines Platzes. Dahinter liegt ein Park, an dessen einer Seite der Kulturpalast, der Palatul Cultural steht. Direkt hinter dem Park fließt der Mureș. Das Ufer ist wirklich sehr schön, es gibt ein paar Restaurants und den Fluss entlang führt der längste Radweg Rumäniens. Wobei ich ehrlich gesagt nicht weiß, an welcher Konkurrenz sich dieser Radweg messen lassen muss.
Arad ist eine hübsche Stadt. Irgendjemand hat es mal als das Wien Rumäniens bezeichnet, wobei das sicherlich übertrieben ist. Allerdings lässt sich an den Gebäuden durchaus ablesen, dass Arad einmal zum Habsburgerreich gehörte. Einige Gebäude, vor allem die Kirchen, sind wirklich beeindruckend. Geht man durch die Nebenstraßen, sehen die Häuser schon deutlich abgenutzter aus. Gebäude ohne Risse oder abgebröckelte Stellen sind schon die Ausnahme. Aber auch das hat einen gewissen Charme. Das war auch schon in Budapest der Fall, wenn auch etwas abgeschwächter.
Interessanterweise erinnert mich der Ort ein bisschen an Italien. Das mag an den bunten Häusern liegen, aber vielleicht auch an der Sprache.
Zunächst vermute ich, es wohnen einfach sehr viele Leute aus Italien in Arad, es gibt schließlich auch viele italienische Restaurants. Und die Leute begrüßen sich doch mit Bună seara! Rumänisch ist, wie der Name vielleicht schon verrät, eine romanische Sprache, also eng verwandt mit dem Italienischen, Spanischen, Französischen. Rumänisch ist in Südosteuropa die einzige romanische Sprache. Und das, obwohl Rumänien nicht einmal an der Adriaküste liegt.
Trotzdem fehlt mir auf den ersten Blick ein richtiges Stadtzentrum. Am Bulevardul Revoluției sammeln sich auch etliche Geschäfte und Restaurants. In der Mitte der Straße befindet sich ein Grünzug mit Bäumen und auch die Straßenbahnen fahren dort. Gibt es nicht irgendwo einen Marktplatz?
Auf einem abendlichen Spaziergang beantwortet sich diese Frage. Zunächst lerne ich, wo sich die Fußgängerzone befindet. Über dieser sind etliche Glühbirnen aufgehängt, die gerade abends für einen ganz besonderen Flair sorgen.
Am Ende dieser Straße liegt dann der erhoffte große Platz. Hier steht eine große Kirche und es gibt einen Springbrunnen, der nachts in allen Farben leuchtet. Noch etwas weiter liegt ein kleiner Park mit einer Statue und einem Triumphbogen, die erstaunlich gut ausgeleuchtet sind.
Am nächsten Morgen geht es weiter. Ich steige in den Zug nach Timișoara. Dieser Zug ist ein kleiner Dieseltriebwagen, wie es ihn auch in Deutschland gibt. Wir schaukeln gemütlich durch eine sehr leere Landschaft und dann sind wir auch schon da.
Timișoara war vergangenes Jahr europäische Kulturhauptstadt. Ich hatte schon vor meiner Reise viel Gutes über diese Stadt gehört. Bei der Ankunft am Bahnhof stelle ich mir allerdings schon die Frage, wo ich denn hier gelandet bin. Der Bahnhof ist deutlich unmoderner als in Arad. Es finden allerdings auch Modernisierungsarbeiten statt, unter anderem an der Bahnhofshalle. Nur sorgt das dafür, dass der Ein- und Ausgang vom Bahnhof ein langer, sehr schmaler und schlecht beleuchteter Durchgang ist. Draußen ist es nicht unbedingt schöner. Graue Häuser und eine große Straße erwarten mich. So hatte ich mir Timișoara nun wirklich nicht vorgestellt.
Nachdem ich herausgefunden habe, wie man mittels einer App Fahrkarten kaufen kann, fahre ich mit einer Straßenbahn in die Innenstadt. Als erstes sehe ich den Piața Unirii, den Platz der Vereinigung. In der Mitte des Platzes befinden sich großzügige Rasenflächen, an deren Rand man gut sitzen kann. Rund um den Platz stehen hübsche Häuser mit Restaurants, ein Museum und mehrere Kirchen. Und hier gefällt es mir wirklich!
Am Abend, etwas ausgeruht von der Zugfahrt, besuche ich ein rumänisches Restaurant in einem Kellergewölbe. Zunächst bin ich der einzige Gast, doch schon bald füllt sich der Raum und etwas später ist jeder Tisch besetzt. Das Essen ist wirklich gut und sehr leistbar.
Als ich die Treppe nach oben steige und nach draußen trete, sehe ich den Grund für den plötzlichen Besucherandrang: Es regnet in Strömen! Es ist der erste Regen auf meiner Reise. Bislang war das Wetter stets sommerlich warm, teils schon heiß gewesen.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch. Eigentlich hatte ich vor, mir die Stadt noch weiter anzuschauen, doch der Regen macht das nicht gerade angenehm. Also suche ich Alternativen, die man drinnen machen kann und finde das Memorialul Revoluției, das Museum über die rumänische Revolution von 1989.
Vor dieser Revolution wurde Rumänien fast 25 Jahre lang von Nicolae Ceaușescu regiert, einem sozialistischen Diktator. Die Lebensverhältnisse im Land waren insbesondere in den 1980er Jahren sehr schlecht, immer wieder gab es Hungersnöte, Lebensmittel wurden staatlich rationiert und konnten nur mit Lebensmittelkarten erworben werden. Auch die Stromversorgung wurde rationiert und funktionierte meist nur für wenige Stunden am Tag. Vielen Haushalten war es nicht mehr möglich, im harten rumänischen Winter zu heizen.
1989 gab es in einer Kirche in Timișoara den Pfarrer László Tőkés, der in seinen Predigten die Verhältnisse im Land kritisierte. Diese Predigten machten ihn schnell populär. Schon bald versuchte die Kirchenführung unter Druck der Geheimpolizei Securitate, ihn in ein kleines unbedeutendes Dorf zu versetzen. Dagegen setzten sich die Gemeindemitglieder zur Wehr, indem sie vor dem Wohnhaus des Pfarrers protestierten. Die Proteste wurden schnell größer und bald waren es nicht mehr nur die Gemeindemitglieder, die protestierten. Irgendwann stiegen Studierende auf eine Straßenbahn und riefen »Nieder mit Ceaușescu!«. Ab diesem Zeitpunkt war es eine Revolution. Ceaușescu gab schon bald von Bukarest aus den Schießbefehl auf die Demonstrierenden.
Am Ende starben allein in Timișoara über 150 Menschen. Aber die Revolution gelang. Immer mehr Menschen und Bevölkerungsgruppen schlossen sich der Revolution an, die sich schließlich auch auf andere Städte ausgebreitet hatte. Nach einer gescheiterten Flucht wurde Ceaușescu festgenommen und nach einem Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Mich hat diese Geschichte sehr bewegt. In einem Land zu protestieren, das bereit ist, auf die eigene Bevölkerung zu schießen, erfordert wirklich viel Mut. Im heutigen Deutschland aufgewachsen, kann ich mir eine solche Situation nur schwer vorstellen. Vielleicht habe ich gerade deshalb so einen tiefen Respekt vor den Menschen, die sich ihre Freiheit selbst erkämpft haben und dafür teilweise mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Die Demokratie, so unperfekt sie auch ist, ist immer noch um Längen besser als jede Autokratie.
Den Feinden der Demokratie entgegenzutreten und für die Werte der Demokratie einzustehen, ist gerade in der heutigen Zeit ungeheuer wichtig. Ein Leben in Freiheit ist leider nicht selbstverständlich.
Ich empfinde große Dankbarkeit, dass ich heute quer durch Europa reisen kann und dabei an vielen Grenzen nicht einmal kontrolliert werde. Nichtsdestotrotz haben wir inzwischen wieder einen eisernen Vorhang in Europa, nur diesmal noch weiter im Osten.
Auf dem Rückweg in die Innenstadt laufe ich am Deutschen Staatstheater Temeswar vorbei. Timișoara ist eine dreisprachige Stadt. Neben Rumänen leben hier auch ethnische Ungaren und ethnische Deutsche, die vor mehreren hundert Jahren in diese Region ausgewandert sind. Daher gibt es drei Staatstheater in Timișoara, ein rumänisches, ein ungarisches und eben das deutsche Staatstheater. Ein Stück anschauen kann ich mir leider nicht, denn dafür reicht meine Zeit nicht aus. Wenn man etwas genauer hinschaut, kann man aber auch an anderen Stellen Spuren der Deutschen finden. So trägt etwa eine Apotheke auch den deutschen Schriftzug »Apotheke« in einem historischen Buntglasfenster. Und der Mitarbeiter im Revolutionsmuseum ist auch deutscher Muttersprachler, obwohl er in Timișoara geboren ist.
Etwas weiter erkenne ich den Piața Victoriei, den Platz des Sieges wieder. Im Revolutionsmuseum waren etliche Bilder zu sehen, weil im späteren Verlauf der Revolution dort die meisten Protestversammlungen stattfanden. Mit diesem Wissen diesen Platz zu sehen, ist schon beeindruckend.
Ich habe noch etwas Zeit bis zum Abend. Also beschließe ich, ein wenig mit der Straßenbahn durch die Stadt zu fahren. Wie in Arad gibt es auch hier moderne Straßenbahnen, aber auch einige ältere. Wer aus Bremen kommt, erkennt vielleicht einige Straßenbahnen wieder. Denn in den 2000er-Jahren wurden etliche alte Bahnen, die in Bremen nicht mehr gebraucht wurden, nach Timișoara geliefert.
Als es dunkel wird, begebe ich mich zum Bahnhof. Heute steht meine allererste Fahrt mit einem Nachtzug an. Ich habe bereits viel darüber gelesen, nun möchte ich es endlich einmal ausprobieren. Genau genommen bin ich vor Jahren schon einmal mit dem Nachtzug von Budapest nach München gefahren, allerdings im Sitzwagen und das zählt ja wohl nicht. Nun also mit dem Nachtzug von Timișoara nach Bukarest, und zwar mit einem ganz besonderen: dem Astra Trans Carpatic.
Dieser Zug wird nicht von der rumänischen Staatsbahn betrieben, sondern von einem Eisenbahnhersteller, der passenderweise gleich selbst die passenden Schlaf- und Liegewagen gebaut hat. Nicht nur für rumänische Verhältnisse ist das ein richtiger Luxuszug. Keine 50 Jahre alte Klapperkiste, sondern ein hochmoderner und wirklich schicker Zug erwartet mich. Beim Einsteigen kontrolliert der Schaffner mein Ticket und zeigt mir mein Zweibettabteil, ich habe das obere Bett. Unten schläft schon jemand, also nehme ich Rücksicht und verstaue leise mein Gepäck. Und schon zehn Minuten später liege ich im Bett und wir schaukeln langsam durchs nächtliche Rumänien und das klick-klick der Räder begleitet mich in den Schlaf.
Die Geschichte könnte jetzt hier enden, aber so einfach ist es leider nicht. Denn das Rollo vor dem Fenster bleibt nicht unten und rutscht immer wieder hoch. So werde ich immer wieder von Bahnhofslichtern geweckt. Und die Temperatur des klimatisierten Abteils schwankt immer wieder zwischen heiß und kalt. Am Ende schlafe ich zwar nicht durch, aber immerhin mehrmals einige Stunden am Stück.
Am nächsten Morgen bringt der Schaffner Kaffee. Eigentlich trinke ich keinen, aber die Verständigung ist etwas schwierig und deshalb trinke ich ihn trotzdem. Wenig später rollen wir in den Hauptbahnhof Bukarests: București Gara de Nord.
Wenn man diesen Bahnhof beschreiben sollte, würde wuselig wohl am besten passen. Überall sind Menschen: In der Halle, auf den Bahnsteigen und auf den Gleisen. Wobei letzteres zwar eine Ausnahme ist, aber dennoch ab und zu vorkommt. Neben den elektronischen Anzeigetafeln gibt es auch eine analoge Fahrplantafel, die riesengroß über einer Ladenzeile hängt. Die Züge kommen hier aus aller Herren Länder: Bulgarien, Türkei, Moldau, Ungarn, Österreich. Und wenn man auf die Fahrzeuge schaut, die hier Second Hand eingesetzt werden, kann man ehemalige französiche, deutsche, niederländische, dänische und schwedische Züge erkennen.
Für mich geht es jetzt aber erst einmal in die historische Altstadt. Vom Bahnhof aus sind es ein paar Stationen zum Piața Unirii, der genau so heißt wie der Platz in Timișoara, aber vollkommen anders aussieht. Erst einmal ist der Platz so groß, dass ein Park und ein riesiger Kreisverkehr darauf Platz finden. Aber die vielen großen Straßen und die umliegenden Gebäude sorgen neben dem wolkenverhangenen Himmel dafür, dass vor allem eine Farbe dominiert: Grau in allen Schattierungen.
Trotzdem ist der Piața Unirii beeindruckend, und das liegt an den Wasserspielen. Mitten im großen Straßenkreisel und rundherum befinden sich Fontänen und Brunnen in einem Ausmaß, das ich so noch nie gesehen habe.
Direkt anschließend befindet sich die historische Altstadt, oder eher gesagt das, was von der historischen Altstadt übrig geblieben ist. Der große Platz und die Wasserspiele vorhin konnten nur durch Abriss von Teilen der Altstadt entstehen. Was jetzt noch übrig ist, wird auch Lipscani genannt und entspricht den Erwartungen an europäische Innenstädte: historische Gebäude, Fußgängerzone, Gastronomie, Kultur. Einen Marktplatz oder etwas vergleichbares gibt es leider nicht.
Vielleicht liegt es am Regen, dass ich mir für die Altstadt nicht so viel Zeit nehmen kann. Trotzdem sehe ich das Kloster Stavropoleos von 1724, das stilistisch etwas hervorsticht und die Pasajul Macca-Villacrosse, eine Passage, in der sich hauptsächlich Restaurants befinden und die mit gelben Glasfenstern überdacht ist. Die Passage sieht in Wirklichkeit leider sehr viel heruntergekommener aus als es auf Bildern erscheint.
Bevor ich nach Bukarest kam, wusste ich nicht viel über die Stadt. Eine Ausnahme ist allerdings der Palatul Parlamentului, der Parlamentspalast. Er ist nach dem US-amerikanischen Pentagon das zweitgrößte Gebäude der Welt und Ausdruck des Größenwahns von Diktator Nicolae Ceaușescu. Ursprünglich sollte das Gebäude ihm als Regierungspalast dienen, allerdings wurde es erst nach der rumänischen Revolution fertig gestellt. Wobei sich schnell die Frage stellte, wie die 5100 Räume mit einer Geschossfläche von 365.000 m² denn nun genutzt werden sollten. So sitzt heute neben dem rumänischen Parlament noch ein Kongresszentrum, Zoll- und Polizeibehörden sowie ein Kunstmuseum in dem Gebäude. Und trotzdem sollen 70 Prozent aller Räume heute ungenutzt sein.
Deswegen möchte ich mir den Parlamentspalast einmal von innen ansehen. Das geht nur mit einer Führung, aber nach einer kurzen Recherche stelle ich fest, dass es keine freien Plätze mehr gibt. Dann eben von außen anschauen. Ich fahre zum Parcul Izvor, einem nicht besonders schönen Park, der direkt vor dem Palast angelegt ist. Und tatsächlich, der Palast ist überwältigend groß. Obwohl sich die Größe nur schwer einschätzen lässt, weil man nicht einfach so um den Palast herumlaufen kann. Ein hoher Zaun und Sicherheitsleute sorgen dafür, dass man nicht so nah herankommt.
Wenn ich doch noch etwas über die rumänische Geschichte lernen möchte, muss ich mir also etwas anderes anschauen. Und tatsächlich: Für eine Führung durch die ehemalige Privatvilla von Ceaușescu sind noch Plätze frei. Also fahre ich mit der Metro etwas aus der Innenstadt heraus.
Die Metro von Bukarest ist schon ein wenig seltsam. Einerseits fährt sie sehr schnell durch die Stadt und man legt in kurzer Zeit weite Strecken zurück. Andererseits sind die Stationen häufig nur spärlich beleuchtet und schlecht ausgeschildert. Von außen sind die Zugänge zu den Stationen häufig unauffällig. Es hilft sehr, wenn man schon vorher auf einer Karte nachgesehen hat, wo sich der Eingang befinden könnte. Die meisten Fahrzeuge sind sauber und modern, nur auf einer Linie verkehren uralte Züge, die so sehr mit Graffiti versehen sind, dass man weder hinein noch herausschauen kann.
Als ich an der Casa Ceaușescu ankomme, wartet schon eine kleine Gruppe vor dem eher unauffällig aussehenden Gebäude. Wir sind angehalten, Stoffüberzüge über unsere Schuhe zu ziehen, außerdem ist das Fotografieren streng verboten. Der unauffällige Eindruck von außen ist allerdings trügerisch. Schon nach wenigen Schritten finde ich mich in einem Palast wieder. Edle und teure Materialien sind überall verbaut, jeder Trakt ist an den Stil der Paläste jeweils unterschiedlicher europäischer Herrscher angelehnt. Die Gemächer von Ceaușescus Tochter entsprechen etwa dem Stil Marie Antoinettes, ein Wohntrakt eher dem des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Es gibt vergoldete Badezimmer, ein riesiges Schwimmbad, ein Kino und begehbare Kleiderschränke so groß wie ganze Wohnungen. Wenn man so durch diese Räume läuft, kann man schnell vergessen, dass diese Räume nicht im 18. Jahrhundert entstanden sind, sondern in den 1970er Jahren. Einzig an den Lichtschaltern und Steckdosen kann man erkennen, dass wir keine Zeitreise in die Monarchie unternommen haben.
Diesen zügellosen und selbst aus heutiger Sicht absurden Reichtum zu sehen, während in der Regierungszeit Ceaușescus die durchschnittliche Bevölkerung hungern musste; zu wissen, dass es in Rumänien an allem mangelte, weil alle Rohstoffe und jeglicher Reichtum in den Protzbauten des Diktators verschwanden – das alles macht mich auch heute noch unfassbar wütend. In der Öffentlichkeit war Ceaușescu ein offener Gegner der Monarchie, nur um privat selbst wie ein Monarch zu leben. Er musste nie so sehr leiden wie die rumänische Bevölkerung unter ihm.
Mit diesem Gedanken verlasse ich die Villa. Rumänien ist ein beeindruckendes und unerwartet schönes Land. Die kleineren Städte sind wirklich sehenswert, während Bukarest sicher keinen Schönheitspreis gewinnt. Die Karpaten sind allerdings eine sehr schöne Gebirgslandschaft und sicher eine eigene Reise wert. Nach Rumänien werde ich auf jeden Fall wieder kommen, denn es gibt noch so viel zu sehen! Die Draculastadt
Morgen wird es erst einmal weiter nach Istanbul gehen.