Es ist acht Uhr morgens. Ich stehe am Bremer Hauptbahnhof und warte auf meinen Zug. Es könnte ein Tag sein wie immer, in den letzten Monaten habe manchmal täglich um diese Zeit am Hauptbahnhof gestanden. Nur, dass ich diesmal nicht zur nächstgrößeren Stadt fahre, sondern weg. Also so richtig weg.
Bereits 2021 bin ich weg gefahren, mit dem Zug in fast alle Ecken Deutschlands. Ich wollte kennen lernen, was ich noch nicht so gut kannte und habe viel über Deutschland, seine Städte und seine Menschen gelernt. Heute gehe ich einen Schritt weiter. Mit einem Interrail-Ticket werde ich quer durch Europa reisen, mit einem besonderen Fokus auf Südosteuropa.
Warum Südosteuropa? Diese Frage ist leicht zu beantworten: Müsste ich eine Ecke Europas nennen, in der ich mich am wenigsten auskenne und über die ich am wenigsten weiß, dann ist es wohl Südosteuropa. Dazu gehören Rumänien, Bulgarien, Griechenland, die Westbalkanstaaten und natürlich auch die Türkei. Damit ist ein grobes Ziel gesetzt.
Heute muss es aber erst einmal in die richtige Richtung gehen. Mein erster Zug bringt mich nach Berlin. Dort kann ich in einen tschechischen Eurocity steigen, der mich bis nach Dresden fährt. Zeit genug, um im legendären tschechischen Speisewagen zu essen. Und die Legende hält, was sie verspricht. Das Essen ist wirklich gut!
Umstieg in Dresden-Neustadt. Es ist drückend heiß. Der Zug von hier soll mich an mein Ziel des ersten Tages bringen: Liberec. Liberec (dessen »c« wie ein deutsches »z« ausgesprochen wird) ist eine kleine Stadt im Norden Tschechiens, in der Nähe der sächsischen Stadt Zittau. Im Grunde ist es ein Zufall, dass ich gerade hier auf meiner ersten Etappe Pause mache, aber es ist ein guter Zufall. Denn Liberec stellt sich als ziemlich hübsch heraus, gelegen im Reichenberger Kessel, es ist also bergig.
In Liberec gibt es Straßenbahnen und eine Linie davon ist eine Überlandstraßenbahn, deren Strecke in den letzten Jahren aufwändig renoviert wurde. Ich lasse es mir also nicht nehmen, einmal mitzufahren, und zwar in das Städtchen Jablonec nad Nisou. Dort gibt es vermutlich nicht viel, aber der Weg dorthin ist wunderschön. Die Straßenbahngleise winden sich durchs Tal, an kleinen Orten vorbei.
Angekommen in Jablonec stehe ich an der Endhaltestelle und bin etwas verwundert. In den Haltestellenunterstand integriert sind zwei öffentliche Toiletten und ein Schalter. Dieser Schalter dient allerdings nicht dem Fahrkartenverkauf, sondern lediglich dem Eintritt für die Toiletten. Es ist schon ein wenig seltsam. Sitzt an dieser nicht besonders viel frequentierten Haltestelle wirklich den ganzen Tag jemand im Klohäuschen, um die Gebühren abzukassieren? Könnte man das nicht auch mit einem Automaten machen? Und wäre es nicht sogar insgesamt günstiger, wenn die Toiletten kostenlos wären?
Ansonsten sehe ich noch einen kleinen, aber hübschen Park und ein paar Wohngebäude drum herum, ehe ich mich wieder in Richtung Liberec begebe.
Das Stadtzentrum von Liberec ist nicht besonders groß. Es gibt den Busbahnhof und nebendran ein großes Einkaufszentrum. Von dort aus führt eine schöne kleine Straße den Berg hinauf zum Rathausplatz, auf dem ein überdimensionierter Hund zu sehen ist.
Am nächsten Tag stehe ich schon früh am Bahnhof von Liberec. Ich werde mit einem kleinen Zug quer durchs Land bis nach Pardubice fahren. Dabei gibt es auf zwei Abschnitten einen Schienenersatzverkehr. Der ist nicht besonders gut kommuniziert, insbesondere wenn man nicht tschechisch spricht. Die Zugbegleiterin schaut deshalb bei jedem Umstieg von Zug auf Bus und andersherum persönlich nach, ob ich auch mit dabei bin. So viel Service bin ich aus Deutschland nun wirklich nicht gewohnt. In Pardubice steige ich in einen Eurocity, der mich nach Budapest bringen soll. Auch hier gibt es wieder einen tschechischen Speisewagen und diesmal ist das Essen sogar noch etwas günstiger.
Während die Fahrt in Tschechien noch ganz zügig ist, wird sie in der Slowakei schon etwas und in Ungarn schließlich merklich langsamer. Es wird schon Abend und die Donau fließt nun parallel zur Eisenbahn. Die Burg Visegrad taucht an einem Hang auf und schließlich erreicht der Zug einen der großen Budapester Hauptbahnhöfe, Budapest-Nyugati. Die Bahnsteighalle wurde übrigens von Gustave Eiffel entworfen, der vor allem durch den Eiffelturm berühmt geworden ist.
In der Nähe meiner Unterkunft befindet sich das Oktogon, ein großer viereckiger Platz, der vor allem durch eine große Straßenkreuzung belegt wird. Unter dieser Kreuzung befindet sich die gleichnamige U-Bahn-Station.
Hierzu lohnt es sich zu wissen, dass in Budapest die zweite U-Bahn der Welt gebaut wurde. Lediglich London war schneller dran. Zum Zeitpunkt der Eröffnung, 1896, war die Bautechnik noch nicht so weit fortgeschritten. Deshalb konnten nur sehr niedrige und enge Tunnel gebaut werden, die direkt unter der Straßendecke verlaufen. Und dementsprechend gedrungen sehen auch die Bahnhöfe und Fahrzeuge aus. Fast wie etwas unförmige Straßenbahnen ruckeln sie quer durch die Budapester Innenstadt, von der Mexikói út zum direkt an der Donau befindlichen Vörösmarty tér.
Dort steige ich aus und bestaune das abendliche Panorama, das sich an der Donau bietet. Gegenüber die Budaer Burg. Etwas weiter flussabwärts die beleuchtete Kettenbrücke.
Budapest hat etwas ungemein weltstädtisches. Läuft man durch die Straßen, die häufig prächtig herausgeputzt sind, oft von Baumreihen und großzügigen Häusern gesäumt, kommt schnell der Vergleich mit Wien und Paris in den Sinn. Nicht nur, aber auch deshalb fühle ich mich sehr schnell hier wohl.
Die alte Metro bringt mich am nächsten Tag in das Stadtwäldchen, den Városliget. Ein U-Bahnhof liegt tatsächlich mitten in diesem großen Park. Oder besser gesagt darunter. Oben angekommen fällt mir sofort die Burg Vajdahunyad auf. Die Burg wurde nie als echte Burg genutzt, sondern entstand im Rahmen einer Weltausstellung, nachdem der Park schon fertig war.
Weiter geht es mit der Straßenbahn, die hier in Budapest eine ganz besondere Rolle einnimmt. In keiner Stadt der Welt fahren so viele Menschen täglich mit der Straßenbahn. Vor allem die Linien 4 und 6, die in einem Halbkreis durch die ganze Stadt fahren, sind zu fast jeder Uhrzeit sehr gut genutzt. Und das, obwohl auf diesen Linien die fast längsten Straßenbahnwagen der Welt eingesetzt werden und diese dann auch noch alle zwei bis drei Minuten fahren. Die tatsächlich längsten Straßenbahnen der Welt fahren übrigens auch in Budapest, und zwar auf der Linie 1, die in einem großen Halbkreis durch die äußeren Bereiche der Stadt fährt.
Linie 4 und 6 halten auch auf der Margaretheninsel, der Margit-sziget. Die Insel liegt mitten in der Donau und ist vor allem eine sehr große Parkanlage. Das Wetter ist gut und ich schlendere einfach geradeaus, bis ich vor einem großen Springbrunnen stehe. Und was für ein Springbrunnen das ist! Ständig wechseln die Wasserstrahlen die Richtung und Intensität. Schließlich wird noch Musik eingespielt und der Springbrunnen spritzt dazu im Takt. Eindrucksvollere Wasserspiele habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Nach etwa einer Viertelstunde ist die Aufführung vorbei und ich laufe weiter. Dabei sehe ich die Ruine eines Klosters, einen großen Rosengarten und sehr viele Menschen, die das gute Wetter im Park genießen.
In diesen Tagen lerne ich Budapest wirklich noch einmal ganz neu kennen und meine Liebe zu dieser Stadt ist ungebrochen. Selbst nach drei Tagen habe ich immer noch das Gefühl, nur an der Oberfläche gekratzt zu haben. Budapest kommt also auf die Liste, hier muss ich wohl noch einmal hinkommen.