Ihr werdet es sicher mitbekommen haben, am letzten Sonntag war Europawahl. Diese Europawahl hat mich zum ersten Mal dazu gebracht, mich richtig mit der Europäischen Union und der Idee dahinter auseinanderzusetzen. Es hat sich gelohnt.
Die Europäische Union ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie sich viele verschiedene Völker zusammenschließen und gemeinsam Dinge bewegen können. Wir haben eine gemeinsame Währung (Kein Umtausch von Währungen an Landesgrenzen mehr), freie Grenzübergänge (Einfach durchfahren und das wars) und den Eurovision Song Contest. Und noch vieles mehr. Wir haben einen Binnenmarkt (für die Wirtschaft ist das super) und sind nicht nur, aber auch deshalb direkt von anderen EU-Staaten abhängig.
Gerade in der letzten Zeit werden immer mehr EU-kritische Stimmen laut. »Wir möchten die Südstaaten nicht durchfüttern!« ist da noch eher harmlos. Natürlich darf die EU nicht frei von jeglicher Kritik bleiben, das ist klar, aber was mit Europa gerade geschieht ist für mich so unfassbar asozial, dass ich mich wirklich regelmäßig an den Kopf fassen muss.
Wir sind füreinander da
Wir sind auch eine europäische Union, um uns gegenseitig zu helfen, wenn jemand von uns in Not gerät. Klar, Griechenland, Zypern und Co. haben in der Vergangenheit nicht gerade mit sicherer Geldpolitik überzeugt, aber jeder hat eine zweite Chance verdient. Und vor allem Hilfe, damit die Fehler der Vergangenheit nicht noch einmal begangen werden. Dass wir die Südstaaten jetzt »durchfüttern« ist keinesfalls ungerecht, denn wir haben das Geld, das die Südstaaten nicht haben. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder nur an sich selbst denken würde? Die Südstaaten sind keine Schmarotzer, die uns nur unser Geld aus der Tasche ziehen wollen. Die Südstaaten sind die wichtigsten Abnehmer für deutsche Produkte. Hätten die Südstaaten kein Geld und hätten wir Griechenland beispielsweise pleite gehen lassen, hätte das nicht nur der griechischen, sondern auch unserer Wirtschaft geschadet.
Wir brauchen einander, deshalb helfen wir uns gegenseitig.
Auch innerhalb Deutschlands haben wir einige verschuldete Bundesländer, wie Bremen oder Berlin. Wir brauchen diese Bundesländer, weil es dort viele Bewohner gibt und dort wichtige Wirtschaftsunternehmen und Infrastrukturzentren liegen. Und wir brauchen Berlin, weil es eine Welt- und unsere Hauptstadt ist. Durch den Bundesfinanzausgleich können diese Bundesländer, obwohl ihre Politik teilweise gar nicht gewinnbringend funktionieren kann, dennoch dafür sorgen, dass der Lebensstandard erhalten bleibt, dass die Straßen repariert werden, der Verkehr, die Behörden und die Politik funktionieren können. Vielleicht bleiben einige Bundesländer für immer im Bundesfinanzausgleich.
Der Bundesfinanzausgleich ist wichtig, weil wir eine Solidargemeinschaft von Bundesländern sind. Wir helfen uns gegenseitig. Hat NRW beispielsweise viele Güter, können diese in Bremer Häfen umgeschlagen und in die Welt transportiert werden. Wir brauchen einander. Und das nicht nur auf Bundesebene.
Auch auf der europäischen Ebene brauchen wir uns. Wir sind eine Solidargemeinschaft. Wir helfen uns, damit keiner auf der Strecke bleibt.
Im Moment funktioniert das mit dem Helfen leider nicht so gut. In Griechenland sind die Leute arm wie nie, es gibt keinen Staatsrundfunk, große Teile der öffentlichen Verwaltung liegen lahm, es gibt sehr hohe Arbeitslosenquoten. Das Geld aus den Hilfsschirmen kommt bei den Banken an, nicht aber bei den Bürgern. Es läuft nicht alles perfekt.
Anstatt jetzt aber zu sagen, die Europäische Union sei gescheitert, helfe sowieso nicht weiter und verschwende nur Geld, ist es jetzt wichtig, Lösungen für die Probleme zu finden. Griechenland (und damit auch Deutschland, siehe oben) ist nicht geholfen, wenn die EU aufgelöst wird, sondern nur, wenn wir einen gemeinsamen Weg gehen, um Griechenland wirklich zu helfen. Wir müssen uns etwas trauen. Beispielsweise könnten wir, anstatt die Banken zu retten, die Wirtschaft ankurbeln, damit die Leute höhere Löhne bekommen und wieder mehr Geld in Griechenland im Umlauf ist (Inflation erzeugt das nicht, denn es wird ja kein neues Geld gedruckt, sondern nur »umverteilt«). Wir können jetzt nicht aufgeben. Denn gerade jetzt brauchen wir uns mehr, als je zuvor.
Wir sind gegeneinander da?
Umso mehr erschrocken war ich, als ich sah, wie diese Europawahlen ausfielen. Extreme Parteien gewannen viel Zulauf. Neugegründete rechtsextreme oder rechtskonservative Parteien dominierten die Wahlergebnisse. Wie können wir dieses Europa, das wir so lange und mit so viel Kraft und Mut aufgebaut haben, nun einfach wieder auseinanderbauen? Wie können sich die Wähler nur zu diesen höchst unsozialen Parteien hingezogen fühlen? Dieses Europa, für das wir Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, gekämpft haben, darf jetzt nicht einfach kaputtgehen.
Wir können nur zusammenleben, wenn wir Stärken und Probleme teilen.
In Frankreich ist die Front National die stärkste Kraft geworden. Die FN möchte Frankreich aus der EU herausholen, wirbt mit populistischen Parolen und denkt gar nicht erst daran, anderen Ländern wie Griechenland zu helfen. Diese Selbstbezogenheit, dieser Patriotismus, diese Ignoranz macht mich sprachlos. Ich kann nicht glauben dass man so stolz auf das eigene Land sein kann, dass man andere Länder gar nicht mehr sieht oder sehen will. Wir können auf Dauer nur friedlich und glücklich zusammenleben, wenn wir unsere Stärken und Probleme teilen. Wenn Länder zu patriotisch sind und nur das beste für sich selbst wollen, kann auf Dauer nur ein Konflikt entstehen. Wir haben in zwei Weltkriegen (und schon vorher) gesehen, wie gefährlich außer Kontrolle geratener Patriotismus werden kann. Ich möchte nicht in einem Europa leben, dass so tut, als würde es gern zusammenarbeiten, sich in Wirklichkeit aber abgrundtief hasst.
In Griechenland ist übrigens die als »Goldene Morgenröte« bekannte Neonazipartei Wahlsieger geworden. Je verzweifelter die Menschen sind, desto extremer wählen sie. Das sollte ein Zeichen für die »gemäßigten« Politiker sein, etwas zu verändern. Europa darf sich zeigen, Europa muss sich zeigen. Wir, der EU sind eine Gemeinschaft, eine Einheit. Wir gehören zusammen und sind nicht alle für uns allein. Alles, was wir machen, hat unmittelbare Konsequenzen auf andere Staaten. Wir müssen uns dessen bewusst werden und versuchen, das Image Europas aufzubessern. In der EU sitzen nicht nur bürokratische Kontrollfreaks, sondern Menschen, die versuchen, das beste für alle herauszuholen. Wir unterstützen uns gegenseitig und wir brauchen uns als Gemeinschaft. Und nicht in Feindschaft.
Wir brauchen keine Neonazis und auch keine die es mal werden möchten (AfD). Wir brauchen keine Rechtspopulisten, die simple Lehren für alles zu haben scheinen, in Wirklichkeit aber die Wahrheit verdrehen. Wir brauchen keine Asozialen, die nur an sich selbst denken und dabei ganz vergessen, dass die anderen Länder auch zu uns gehören und dass ein Austritt langfristig alles nur noch schlimmer macht. Was wir brauchen, ist ein selbstbewusstes und gemeinschaftliches Europa. Ein Europa, das sich gegenseitig hilft. Ein Europa, das nicht umsonst das beste ist, das wir auf diesem Kontinent jemals hatten.
Ich liebe dich, Europa. Enttäusche mich nicht.
Beitragsbild: By fdecomite (European flag Uploaded by tm) [CC-BY-2.0]