Es herrscht ein, wie sagt man so schön im Journalismus, Trend, der ebendiesen Journalisten Kopfzerbrechen bis Angstschweiß bereitet. Jeder nennt ihn anders, sei es »Das große Zeitungssterben« oder »Der Medienwandel«.
Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte lang war die Zeitung das bevorzugte Mittel der Information. Es hat sich, besonders Ende letzten Jahrtausends, eingebürgert, morgens zum Frühstück die Zeitung zu lesen. Und Sonntags, wenn mehr Zeit ist, auch mal über den ganzen Tag verteilt, die Sonntagszeitung. Das funktionierte immer sehr gut, die Leser identifizierten sich oft sogar mit »ihrer Zeitung«.
Zeitung war Information, man erfuhr alles schon direkt am Tag darauf in einer angenehmen Ausführlichkeit. Zeitung war Diskussion, es wurden Kommentare und Leserbriefe veröffentlicht. Zeitung war Kommunikation, durch Inserate und Familienanzeigen konnte so ziemlich alles an alle vermittelt werden. Und die Verlagshäuser waren froh darum, dass ihr Medium Zeitung der Vermittler zwischen den Menschen war, die bereit waren, dafür Geld zu zahlen.
Das »digitale Zeitalter« musste dann natürlich alles verändern. Die Menschen informierten sich auf den Nachrichtenseiten der Zeitungen, aber ohne für die Artikel zu bezahlen. Und endlich erfuhr man alles nicht immer einen Tag verspätet. Die Menschen diskutierten viel lieber in Echtzeit in Foren und Kommentarspalten, die ohnehin viel besser für so etwas geeignet sind. Und die Menschen kommunizierten nun über viele verschiedene Onlinedienste, die alles ein bisschen besser konnten als die nun alte und schwerfällige Zeitung.
Man könnte sagen, die Zeitung stirbt aus. Immer weniger Menschen abonnieren heutzutage noch eine Tageszeitung. Dafür hat fast jeder die Spiegel-Online-App auf seinem Handy. Und das macht den Verlagen Angst.
Aus ihrer Sicht war es im Rückblick ein Fehler, journalistische Artikel kostenfrei ins Internet zu stellen. Nun erwarten die Nutzer, kostenfrei informiert zu werden und die Verlage sind plötzlich ihr Geschäftsmodell los. Was sie mit Werbung auszugleichen versuchen. Nur vergrault Werbung viele Nutzer, denn Internetwerbung ist wohl oder übel penetrant und nervig. Deshalb schalten immer mehr Leute Werbeblocker in ihrem Webbrowser ein, um frei von blinkenden Bannern im Internet surfen zu können. Und den Nutzern kann man das nun wirklich nicht vorhalten. Denn wäre die Werbung nicht nervig, hätte auch niemand etwas dagegen.
Und dann sind da noch die Blogs. Sie sind je nach Themenfeld entweder der Information oder der Diskussion zuzurechnen und zielen oft auf ähnliche Zielgruppen ab, wie Nachrichtenseiten von Verlagshäusern. Was die Verlage auch nicht so toll finden.
Irgendwann versuchten die Verlage die Flucht nach vorn. Mit »digitalen Zeitungen«. Also eine Zeitung, die meist täglich erscheint, auf einem digitalen Gerät gelesen wird, coole interaktive Spielereien beinhaltet und natürlich etwas kostet. Aber das funktioniert nicht wirklich. Nur ein Bruchteil der Leserschaft liest digitale Zeitungen, so richtig scheint der Funke nie übergesprungen zu sein. Aber was machen die Verlage denn immer noch falsch?
Lehre 1: Leser erwarten heutzutage aktuelle Informationen. Wenn Zeitungen immer erst neu erscheinen müssen, um aktuelle Informationen zu enthalten, haben sie einen entschiedenen Geschwindigkeitsnachteil. Dafür auch noch zu bezahlen, sieht niemand ein – verständlich. Es bräuchte also eine regelmäßig zu zahlende App oder Internetseite, die aktuelle Informationen ausführlich und übersichtlich darbietet. Soweit nichts neues.
Lehre 2: Überflüssige Interaktivität fesselt keinen Leser. Natürlich ist es super, wenn man etwas mit der Infografik herumspielen kann. Aber das ist nicht der Grund, warum Leser eine Zeitung lesen. Statt Interaktivität möchten die Leser hochwertige Information haben. Weil sich das Bezahlen dann auch wirklich lohnt.
Lehre 3: Digitale Medien bieten Anpassbarkeit. Jeder Leser hat unterschiedliche Vorlieben. Anstatt die Zeitung oder Nachrichtenseite für jeden gleich aussehen zu lassen, sollten Leser angeben können, welche Themen sie besonders interessieren. So können interessante Artikel prominenter erscheinen. Dabei ist aber sehr wichtig, dass dieses Anpassungsverfahren möglichst einfach gehalten ist, damit auch jeder damit umgehen kann. Denn allzu oft ist die Benutzerführung bei personalisiertem Content allzu komplex.
Lehre 4: Digitale Medien bieten neue Möglichkeiten. Ähnliche Themen können zusammengefasst werden. Aus längeren Geschehnissen (Beispiel: Griechenlandkrise) können Zeitleisten werden, an die alle Artikel zu diesem Ereignis hinzugefügt werden. Sollte das Thema aus dem Fokus der Berichterstattung rücken, sollten diese Zeitleisten dennoch weiter aktualisiert werden, um interessierte Leser weiterhin zu informieren.
Lehre 5: Nutzerfinanzierung statt Werbung. Wer im Internet für einen Dienst bezahlt und trotzdem noch Werbung angezeigt bekommt, fühlt sich häufig hintergangen. Die Verlage sollten sich Tarife überlegen, zu denen die Finanzierung ihrer Angebote auch ohne Werbung möglich ist.
Lehre 6: Das Archiv. Viele Zeitungen gibt es schon seit Ewigkeiten. Doch die wenigsten Zeitungen haben ein digital durchsuchbares Onlinearchiv angelegt, das für Recherchen von interessierten Lesern genutzt werden kann. Das hätte zudem historischen Wert. Diesen verborgenen Schatz könnten die Verlage ebenfalls durchaus gewinnbringend vermarkten.
Lehre 7: Die Zeitung ist nicht tot. Nur werden viel weniger Leute als bisher die Zeitung in dem Maße nutzen. Es lohnt sich trotzdem, innovativ zu sein und Lehren aus den bisherigen Fehlern zu ziehen.
Ich schätze die Arbeit der meisten Zeitungen sehr. Und deshalb hoffe ich inständig, dass die Zeitungsbranche endlich mal beginnt, aus der Sicht ihrer Nutzer zu denken und nicht aus der Sicht eines Verlagshauses, das sehr gern Zeitung macht, aber auch ein bisschen »Online« machen muss, weil das ja gerade so beliebt ist.
Die Medien wandeln sich, das ist keine Frage. Die Zeitungen trifft es zuerst, aber auch Radio und Fernsehen bemerken schon jetzt die Auswirkungen des Internets. Möglicherweise verschieben sich in Zukunft einige Marktanteile in der Medienbranche, neue Player treten aufs Spielfeld und haben gute Ideen, andere verschwinden sang- und klanglos. Aber das ist normal. Am Ende entscheidet immer noch der Nutzer, was ihm am liebsten gefällt. Denn der Medienwandel passiert nicht einfach so. Die Leser sind an allem schuld. Wie wahr.
Als Journalistenschülerin habe ich deinen Artikel natürlich aufmerksam gelesen. Was mir allerdings in deinen Lehren fehlt, ist die Erkenntnis, dass Zeitungen nicht nur „digital“ sondern vielmehr „innovativ“ werden müssen. Ich meine, klar: Informationen über Happenings und Breaking News bekommen die Menschen heute auch umsonst im Netz, aber richtig recherchierte Hintergrundinformationen sind vielen Bloggern leider immer noch eine Nummer zu groß… Damit können Zeitungen heute ködern und nicht nur mit reiner Informationsübermittlung.
Hallo Nia,
du hast natürlich vollkommen recht. Im Übrigen muss ich zugeben, dass ich, als ich den Artikel schrieb, schon halb im Bett war und heute noch einige Dinge still und heimlich ergänzen wollte.
Mir ist der Begriff »Innovation« allerdings zu schwammig. Natürlich kann man vom Webdesign her auf dem neuesten Stand sein (wie bspw. SZ und Zeit), aber das allein reicht nicht. Die vielen Versuche der großen Nachrichtenseiten, für Jugendliche attraktiv zu wirken (Bento, ze.tt, BYou, Himate und Orange) sind für mich auch kein Ausdruck von Innovation, sondern eher ein »so tun als ob«. Und ob interaktive Infografiken oder Videos oft ein wirklicher Mehrwert sind, sei mal dahingestellt.
Hintergrundrecherchen sind, und auch da stimme ich mit dir überein, wirklich etwas, das die Möglichkeiten vieler (nicht aller) Blogger überschreitet und durchaus ein Alleinstellungsmerkmal der Zeitungsverlage sein können. Nur leider sehe ich im Augenblick nirgends den ernsthaften Versuch, Onlinejournalismus richtig machen zu wollen. Stattdessen dümpeln die meisten Seiten mit ihrem halb ausgegorenen Konzept weiter herum und fragen sich, warum sie nicht erfolgreich sind.
Ich habe auch kein Allheilmittel für den Onlinejournalismus, nur sehe ich gerade einer gesamten Branche zu, wie sie sich verrennt. Und das hat mich bewogen, diesen Artikel zu schreiben.