Am Hohentorshafen liegt, hinter Baugerüsten und Planen versteckt, eine kleine Werft. Der Eingang ist ein wenig zugewachsen, im Hintergrund steht ein blauer Kran, dahinter eine Lagerhalle. Regelmäßiges Klopfen und Sägegeräusche sind zu hören. Hier liegt die „Roland von Bremen“, fast 24 Meter lang und über sieben Meter breit, aus hellbraunem Eichenholz gebaut. Es gab eine Zeit, da lag sie für alle sichtbar als stolzes Wahrzeichen an der Schlachte, doch dann ging der Nachbau der historischen Bremer Hansekogge wegen eines defekten Seeventils unter. 2014 war das. Seitdem liegt sie im Hohentorshafen in Woltmershausen – um wieder saniert zu werden.
Auf der Werft herrscht ein lockerer, freundschaftlicher Umgangston. Hier arbeiten keine ausgebildeten SchiffsbauerInnen, sondern Langzeitarbeitslose und Geflüchtete. Für sie ist es eine Maßnahme des Jobcenters, die vom Beschäftigungsträger „bras“ angeleitet wird, einem Verein, der sich um ihre Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt kümmert. Werftchef ist Bastian Jagusch. Er ist hier als Erlebnispädagoge, Bauingenieur und handwerklicher Anleiter tätig. „Das ist Learning by Doing“, meint er, nach seinem Konzept befragt. Als Segler und Bootsbesitzer habe er zwar schon mal kleinere Jollenkreuzer instand gesetzt. Aber kein Schiff dieser Größe.
Bremen und die Koggen verbindet eine jahrhundertelange Geschichte. Zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert war dieser Segelschiffstyp, der friesische und skandinavische Schiffsbautraditionen miteinander vereint, das meistgenutzte Handelsschiff der Hanse. Es war ein bauchiges, einmastiges Frachtschiff mit einem flachen Boden, das mit wenigen Mann Besatzung bis zu 90 Tonnen Fracht transportieren konnte. Das Rahsegel der „Roland von Bremen“ maß 90 Quadratmeter, dazu kommen drei Vorsegel mit je 30 Quadratmetern. Koggen wie diese wurden im Mittelalter relativ schnell und kostengünstig produziert und waren entsprechend weit verbreitet.
Drei Nachbauten orientieren sich an der in Bremen gefundenen Kogge.
1962 fand man bei Hafenbauarbeiten vor Rablinghausen ein Schiffswrack in der Weser – eine besonders gut erhaltene Kogge, wie sich bald herausstellte. 2.000 Schiffsteile mussten einzeln aus dem Schlick befreit werden und kamen schließlich ins Deutsche Schifffahrtsmuseum nach Bremerhaven, wo sie aufwendig konserviert und schließlich wieder zusammengebaut wurden. Heute kann man das auf 1380 datierte Wrack in einer eigens gebauten Halle des Museums sehen. Das gut erhaltene Original machte detailgetreue Nachbauten möglich: Anhand dieses Fundes konnte erstmals der Riß einer Kogge belegt werden. Gleich drei Nachbauten orientierten sich stark an diesem Vorbild: Die „Ubena von Bremen“, die auch in Bremerhaven liegt, die „Hansekogge“ aus Kiel und die „Roland von Bremen“, die zwischen 1996 und 2000 im Rahmen einer Beschäftigungsinitiative entstand und dann zur Eröffnung der Expo in Bremen an der Schlachte anlegte.
Steht man unten vor dem Schiff, sieht es schon fast fertig aus. Über einen Steg gelangt man auf das Deck, durch eine Luke ins Schiffsinnere. Hier findet im Augenblick ein Großteil der Arbeiten statt. Mehrere Männer schlagen Holzpflöcke in einen Deckenbalken, ein anderer baut eine kleinere Treppe für eine zweite Luke. Er ist seit eineinhalb Jahren dabei. „Das Arbeitsamt hat mich hergeschickt und jetzt bin ich hier“, sagt er.
Welche Leute an der Kogge mitarbeiten, entscheidet das Jobcenter. „Wir haben wenig Einfluss darauf, wer hier anfängt“, sagt Bastian Jagusch. „Die Sachbearbeiter entscheiden, wer geeignet ist und wer nicht. Das klappt mal und manchmal passt es auch nicht.“ Trotzdem würden die Leute vorher gefragt, ob sie mitmachen wollten. „Und selbst diejenigen, die nicht ganz freiwillig hier sind, die haben dann irgendwann Lust darauf.“
»Auf dem fertigen Deck zu laufen war für mich der Wow-Effekt«
Eine Arbeiterin steht draußen vor dem Schiff. „Ich war eine Zeit lang arbeitslos und krank, dann bin ich als Integrationsmaßnahme hier gelandet.“, sagt sie. Sie ist nun seit fast einem Jahr mit dabei. „Als ich damals angefangen habe, war auf dem Schiff kein Deck“, erzählt sie. „Wir hatten nur unsichere Planken, um darauf zu laufen. Seit Ende August ist das Deck oben jetzt fertig. Das war für mich der Wow-Effekt, als man zum ersten Mal normal auf dem Deck laufen konnte, ohne darauf zu achten, wo man hintritt.“ Sie findet es gut, durch diese Arbeit an der Kogge die ersten Hürden auf dem Weg zurück zum ersten Arbeitsmarkt nehmen zu können. „Man kann hier einen normalen Rhythmus haben, mit regelmäßigem Aufstehen und Arbeiten. Ich hatte damit zwar keine Probleme, aber das tut einem für die Seele irgendwie gut.“ Außerdem bekämen die ArbeiterInnen eine Heimat und auch mehr Geld, sagt Bastian Jagusch. „200 Euro mehr, das ist für einen Hartz IV-Empfänger schon wahnsinnig gut. Da ergeben sich neue Möglichkeiten: Die Leute fahren wieder in den Urlaub oder kaufen sich eine neue Hose.“
Ein Boden fehlt noch im Schiffsbauch. Darunter müssen später 40 Tonnen Steine eingefüllt werden, damit das Schiff bei einem Tiefgang von 1,85 Metern im Wasser nicht kentert. Die Arbeiter balancieren auf schmalen Planken durch den Schiffsbauch. Neben ihnen steht der Kultur- und Sprachmittler des Werftteams. „Wenn die Anleiter etwas sagen, was einige Leute hier nicht verstehen, dann helfe ich und übersetze“, sagt er. Seine Muttersprache ist Persisch, aber mit einem Wörterbuch kann er auch ins Arabische oder Kurdische übersetzen. Trotzdem klappe es nicht immer, sagt Bastian Jagusch: „Sprache ist ein Problem. Die Leute, die hier mitarbeiten, sind diejenigen, die es nicht gepackt haben, hier richtig Fuß zu fassen.“
»Man muss sich alles erarbeiten, jeder Schritt ist etwas neues«
Am Anfang hätten auch viele junge Geflüchtete an dem Projekt mitgearbeitet. Die lernten schnell Deutsch und hätten nun alle Jobs. „Diejenigen, die jetzt dabei sind, das sind Ältere. Die lernen nicht mehr so schnell Deutsch. Zum Teil sind es Analphabeten, einige sind nie zur Schule gegangen“, sagt Jagusch. Wenn gar nichts helfe, müsse er eben mit Händen und Füßen kommunizieren. Dadurch würden manchmal auch Sachen anders gebaut, als er es wollte. „Ich kontrollier hier alles, sonst wird das nichts“, sagt Jagusch. Im Zweifelsfall müssten Teile dann eben nochmal gebaut werden, bis am Ende alles passe. Das Team muss viel improvisieren und ausprobieren oder auch mal bei Fachleuten nachfragen. „Das ist das spannende hier“, sagt Jagusch. „Man muss sich alles erst erarbeiten. Jeder Arbeitsschritt ist immer etwas neues“ Außerdem sei niemand hier wirklich vom Fach, nicht mal er selbst: „Man muss immer auch den Faktor ‚Wir sind alle Idioten‘ mit einrechnen. Richtige Bootsbauer in einer Werft, die wissen ja wie das geht. Hier ist es so: Wer früher Friseur war, der kann noch längst kein Boot bauen.“ Deshalb geht das Team den Bootsbau eben etwas langsamer an. Seit 2015 wurden gut 70 Prozent des Schiffes komplett neu gebaut. Lediglich das tragende Gerüst des Rumpfes konnte zu einem großen Teil weiter verwendet werden.
Neben dem Boot steht ein Tisch mit einigen Bänken, ein beliebter Treffpunkt für die ArbeiterInnen. Einige Leute sitzen, andere stehen rundherum, die Stimmung ist gut. „Mit den Kollegen ist es super, wir machen immer mal wieder Quatsch miteinander. Ich hab hier alle neu kennen und auch lieben gelernt!“, sagt eine von ihnen.
Doch die Tage der Werft an der Ladestraße sind gezählt. Die Stadt renoviert ab April 2021 die Kaimauer des Hohentorshafens, deswegen muss das Schiff nun an einen anderen Ort verlegt werden. Wahrscheinlich wird die „Roland von Bremen“ deswegen Ende März bereits zu Wasser gelassen. Dann ist sie aber noch längst nicht fertig. Wenn – in vielleicht zwei Jahren – der Innenraum fertig und ein wenig moderne Technik eingebaut ist, könnte das Schiff wieder an der Schlachte liegen und dort als Veranstaltungsraum, Museum oder Café dienen. Die alte „Roland von Bremen“ war unter anderem nach Rostock oder Cuxhaven unterwegs.
Ob beim Stapellauf alles gut läuft? „Das Schiff ist dicht“, sagt Bastian Jagusch. „Wir haben unten eine Kunststoffschicht drum gemacht. Obwohl wir mal aus Versehen 30 Löcher reingebohrt haben. Ich hoffe, wir haben die alle wieder gefunden.“
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Zeitschrift der Straße.