Das Wetter ist gut, als ich in den Zug nach Darmstadt steige. Der Himmel ist fast wolkenlos, gut gelaunt trete ich die nächste Etappe meiner Reise an. Die Umgebung wird deutlich hügeliger und bergiger. Die Bergstraße tut sich neben dem Zug auf, häufig wird Wein darauf angebaut.
Die Darmstädter Innenstadt ist nicht besonders schön. Bestimmt wird in den nächsten Jahren die Fußgängerzone einmal vollständig erneuert, denn so wie es gerade ist, sollte es besser nicht bleiben. Die dominierende Farbe ist grau in allen Schattierungen. Wäre das Wetter nicht weiterhin gut gewesen, ich wäre von Darmstadt ziemlich deprimiert gewesen. Allerdings gibt es auch hin und wieder kleine Lichtblicke. Einige Plätze sind weitläufig und bieten Statuen zum Besichtigen an. Und wenn man sowas mag, gibt es auch einen Obelisken, wobei ich Obelisken immer ein bisschen unspektakulär finde. Wie bereits in Mannheim und Heidelberg gibt es auch hier ein Schloss. Aber an das Mannheimer Schloss kommt so schnell nichts heran.
Ich laufe durch die Straßen der Innenstadt, zum so genannten Darmstadtium. Fragt man Menschen, die sich mit Chemie auskennen, werden sie diesen Namen vielleicht erkennen. Darmstadtium ist ein chemisches Element, das erstmals in Darmstadt erzeugt wurde und deshalb den Namen der Stadt trägt. Natürlich kann man nicht unbedingt zu einem chemischen Element hinlaufen, und selbst wenn, wäre das vermutlich keine große Attraktion. Darmstadtium heißt aber auch ein großes Kongresszentrum, das vor allem durch seine Architektur auffällt.
Während ich darauf zugehe, höre ich Musik spielen. Als ich näher komme, sehe ich Publikum, eine Bühne und ein kleines Orchester. Ein Plakat verrät schließlich, worum es sich handelt: Hier wird unter offenem Himmel die Kinderoper »Das Städtchen drumherum« von Elisabeth Naske aufgeführt. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es um Umweltproteste. Es kommt eine Bewegung vor, die Ähnlichkeiten zu »Fridays for Future« und den Protestbewegungen rund um den Hambacher Forst hat. Der Bürgermeister möchte seine Stadt vergrößern, hinein in ein Waldstück. Am Ende können die Protestierenden ihn überzeugen »das Städtchen drumherum« zu bauen und den Wald intakt zu lassen.
Weiter geht es nach Mainz. Im Zug fallen mir die automatischen Ansagen auf. Dazu muss ich ein wenig ausholen. Es gibt in den meisten Zügen Ansagen, die von professionellen Sprecherinnen oder Sprechern eingesprochen wurden. Die sind gut verständlich und sind auch meist von der Lautstärke gut angepasst, damit sie die Zuggeräusche übertönen. Dann gibt es Ansagen, die von Mitarbeitenden des Verkehrsunternehmens eingesprochen wurden. Das kann funktionieren, häufig hört man den Unterschied aber deutlich. In der »Chemnitzbahn« hatte die Sprecherin einen deutlichen Dialekt, das kann man aber auch sympathisch finden. In der Hessischen Landesbahn, die mich von Darmstadt nach Mainz bringen sollte, klang die Sprecherin gleichsam gelangweilt wie genervt. Manche Leute haben vielleicht einfach keine Lust auf ihren Job. Noch schlimmer finde ich nur computergenerierte Ansagen, denen man ihre Computerhaftigkeit allzu deutlich anhört. Wenn man dort durch falsche Aussprache oder Betonung den Inhalt der Ansage nicht mehr verstehen kann, kann man auch gleich auf Ansagen verzichten.
Auch in Mainz herrscht gutes Wetter. Die Innenstadt ist ein paar Haltestellen vom Hauptbahnhof entfernt und beginnt mit einem Platz mit Brunnen darauf. Danach wird es immer besser. Viele alte Häuser, häufig mit Fachwerk, säumen enge Gassen, die hin und wieder in größere Plätze münden. Es macht Spaß, durch Mainz zu laufen und immer neue schöne Ecken zu finden. Seit ich im Südwesten bin, ist Mainz kurz vor Freiburg die schönste Stadt, die ich in dieser Ecke Deutschlands gesehen habe.
Ich laufe bis an den Rhein, der hier ebenso wie in Mannheim ein unfassbar breiter Fluss ist. Auch in Mainz trennt der Rhein zwei Städte und zwei Bundesländer. Mainz und Wiesbaden sowie Rheinland-Pfalz und Hessen. Wobei es hier eine kleine Besonderheit gibt. Die Landesgrenze verlief noch nicht immer auf dem Rhein. Vor dem zweiten Weltkrieg lag Mainz auf beiden Seiten des Rheins. Die Alliierten zogen dann nach dem Krieg die Begrenzung der Besatzungzonen relativ pragmatisch durch den Rhein, und mitten durch die Stadt Mainz. Somit gehören jetzt sechs Stadtteile von Mainz zum Land Hessen (genauer zu Wiesbaden und Groß-Gerau). Trotzdem wird allen Stadtteilen bis heute der Name Mainz vorangestellt, etwa Mainz-Kastel oder Mainz-Gustavsburg, obwohl sie eigentlich gar nicht mehr zu Mainz gehören.
Ich laufe am Rhein entlang, es gibt eine schöne Uferpromenade. Mein Ziel ist auch in dieser Stadt das Schloss. Allerdings muss ich feststellen, dass es nur schwer zu erreichen ist, denn riesige verkehrsreiche Straßen trennen es und den benachbarten rheinland-pfälzischen Landtag vom Flussufer. Beide Gebäude sind wirklich schön anzusehen, aber leider etwas zugebaut von einigen modernen Gebäuden. Also laufe ich weiter und entdecke die Christuskirche, die abseits der eigentlichen Innenstadt liegt, aber trotzdem überraschend groß ist.
Einen Wunsch muss ich mir noch erfüllen, wenn ich schon in Mainz bin, und die omnipräsenten Mainzelmännchen auf Ampeln, Plakaten oder als Wandmalereien an Häusern verstärken den Wunsch noch weiter: Ich möchte einmal das ZDF sehen. Natürlich nicht im Fernsehen, sondern den Hauptsitz des Senders auf dem Mainzer Lerchenberg. Als ich dort ankomme, bin ich etwas verdutzt. Erst einmal liegt der Lerchenberg sehr außerhalb von Mainz und Lerchenberg ist ebenfalls die Bezeichnung für eine Großwohnsiedlung, die direkt neben dem großen ZDF-Hauptgebäude liegt. So richtig heran komme ich allerdings nicht, denn das ZDF-Gelände ist sehr weitläufig und nicht ohne weiteres betretbar. Ein bisschen schade ist das schon. Aber immerhin laufen abends, als ich im Bistro sitze, die ZDF-Nachrichten. Jetzt weiß ich immerhin ungefähr, wo sie herkommen.