Beim Frühstück treffe ich Mohammed. Er kommt ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen, seine Eltern aus Marokko. Im Augenblick sei er auf der Durchreise, sagt er, für einen Job, der ihm nur mäßig gefalle. Bald werde er aber einen guten Job in der Schweiz antreten, daher sei es auszuhalten. Ich erzähle ihm von meiner Deutschlandreise, von meinen bisherigen Stationen, etwa in Görlitz, Chemnitz und Halle.
»Wie sind die Menschen in Ostdeutschland?«, fragt er.
Ich erzähle ihm von einigen herzlichen Begegnungen, aber auch der deutlich weniger verbreiteten Bereitschaft, eine Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Verkehr zu tragen.
»Ich habe Freunde aus fast allen Teilen Deutschlands«, sagt er, »aber in Ostdeutschland kenne ich fast niemanden. Viele Migranten fühlen sich da nicht wohl.« Brandanschläge an Flüchtlingsunterkünfte und Wohnblöcke, in denen Migranten wohnen, Demonstrationen wie Pegida, all das sei für ihn abschreckend. »Selbst wenn ich ein gutes Jobangebot zum Beispiel in Halle bekommen würde, auch mit guter Bezahlung. Ich würde nicht nach Ostdeutschland ziehen.«
Und überhaupt sei die Angst vor einer angeblichen Islamisierung in Deutschland oder Europa völlig irrational.
»In der deutschen Politik, in der Regierung und in den Parteien, gibt es gar keine praktizierenden Moslems.« Für praktizierende Muslime wäre es in anderen Ländern viel leichter, ihren Glauben zu leben, zum Beispiel in der Türkei oder in den Vereinigen Arabischen Emiraten, etwa in Dubai.
Vielmehr müsste sich Deutschland Gedanken machen, dass die gut gebildeten Migranten, mit deutschem Schul- und Universitätsabschluss oder mit Ausbildung, auch in Deutschland bleiben. Aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis würden fast alle nach dem Abschluss auswandern, in Länder, wo sie besser leben könnten und besser bezahlt würden, etwa im arabischen Raum. Bei ihm sei es schließlich auch so, weil er bald in die Schweiz ziehe.
Wir sprechen wirklich lange miteinander, bis das Frühstücksbuffet abgebaut ist und ich zu einem Ausflug nach Heidelberg aufbreche.
Von Mannheim aus kann man nach Heidelberg mit der Straßenbahn fahren. Und das, obwohl Heidelberg schon ein Stück weit entfernt liegt. Es ist, wie schon in den Berliner Vororten, eine Überlandstraßenbahn, obwohl es aus technischer Sicht eigentlich eine Eisenbahn ist. Während Mannheim weitgehend im Flachland liegt, liegt Heidelberg am Fuße der ersten Berge. Auf der Überlandfahrt kann ich das ganz gut beobachten. Der erste Berg kommt ganz plötzlich, es gibt keine kleinen Hügel vorher. Heidelberg quetscht sich vor diesen ersten Berg und reicht in Teilen auch schon etwas hinauf.
Ich komme mit der Straßenbahn in Heidelberg an und bin ein wenig entsetzt. Sollte Heidelberg nicht eigentlich ein ziemlich idyllisches Städtchen sein? Ich sehe vor allem Nachkriegsbauten, vielleicht nicht ganz so groß wie in Mannheim. Sehenswert ist Heidelberg zwischen Bahnhof und Innenstadt jedenfalls nicht. Aber die Straßenbahn fährt zumindest an den Rand der Innenstadt heran. Die Fußgängerzone besteht vor allem aus einer einzigen sehr langen Straße, die von schmucken Häusern und einigen wenigen Plätzen geschmückt ist.
Ich sehe ein Hinweisschild auf die Bergbahn. Davon habe ich schon gehört. Mit zwei unterschiedlichen Bahnen geht es hinauf auf den Königstuhl, den Berg, dem Heidelberg zu Füßen liegt. Also entscheide ich spontan, einmal hinaufzufahren.
Es könne zwischen der ersten und der zweiten Bergbahn Wartezeiten von bis zu 60 Minuten geben, sagt die Kassiererin, als ich meine Fahrkarte kaufe. So schlimm kann das schon nicht werden, denke ich und laufe zur ersten Bergbahn.
Um den Begriff einmal zu definieren: Die Bergbahnen sind keine Seilbahnen mit Gondeln, sondern fahren auf Gleisen, werden allerdings mit einem Seil, das zwischen diesen Gleisen geführt wird, hinaufgezogen oder herabgelassen.
Die untere Bergbahn ist ziemlich modern und groß, ich komme direkt bei der ersten Fahrt mit. Auf einer Zwischenstation könnte man das Schloss besuchen, dessen Eintrittspreis schon in der Fahrkarte enthalten ist. Weil ich dafür leider wirklich nicht genug Zeit habe, fahre ich weiter bergaufwärts, bis zum oberen Ende der unteren Bergbahn.
Hier kann man direkt in die obere Bergbahn umsteigen, hat aber auch schon eine gute Aussicht.
Die untere Bergbahn fährt alle zehn Minuten, die obere alle zwanzig. Und sie kann weniger Fahrgäste mitnehmen. Jetzt verstehe ich, warum von Wartezeiten die Rede war. Geduldig stelle ich mich ans Ende der Schlange und kann bereits nach einer halben Stunde weiter nach oben fahren. Glück gehabt.
Die obere Bergbahn fährt mit historischen Fahrzeugen. Weil sie so alt ist, fährt die Bahn langsamer, hat aber gleichzeitig eine längere Strecke als die untere Bahn. Daher der Zeitunterschied. Auf den ersten Blick habe ich meine Freude an der historischen Bergbahn. Sie ist hübsch, aus Holz gefertigt und die Türen müssen von Hand geschlossen werden. Sobald die Fahrt beginnt, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich noch immer ein Fan dieser Bahn bin. Denn das alte Holz knarrt und knackt schon ganz gewaltig. Wäre es etwa eine Straßenbahn, hätte ich damit kein Problem, im Schlimmsten Fall bliebe die Bahn vor Anstrengung stehen. Bei der Bergbahn, die einen steilen Berg hinauffährt, ist mir schon mehr an der Stabilität gelegen. Ich habe nur wenig Interesse, den Berg samt Bahn hinabzurauschen. Und die langsame Fahrt zieht sich ins Endlose. Leider ist die Aussicht aus der Bahn nicht die beste, es wird mir dann doch schnell langweilig.
Oben werde ich dann für meine Geduld belohnt. Man kann über das gesamte flache Land, die Rheinebene, bis hin nach Mannheim und Ludwigshafen schauen.
Über 500 Meter über Normalnull stehe ich nun und habe das erste Mal auf meiner Reise richtige Urlaubsgefühle. Die Sonne scheint, die Landschaft, auch die anderen Berge ist schön. Und auch die Rhabarbertorte, die das Café an der Bergstation verkauft, schmeckt fantastisch.