Um knapp 11 Uhr bin ich wieder in Züssow, runter von der Insel. Heute muss ich nicht viel umsteigen, dafür wartet eine lange Zugfahrt auf mich. Ich fahre nach Berlin. Wie schon gestern erwähnt, landen alle Züge, die Mecklenburg-Vorpommern südlich verlassen, irgendwann in Berlin. So auch meiner.
»So weit kann das ja nicht sein«, denke ich zunächst und schaue aus dem Fenster. Die eigentlich schöne Landschaft wird mit der Zeit etwas öde. Dafür fährt der Zug nun durch Anklam.
Anklam ist einer breiteren Masse vor allem dadurch bekannt geworden, weil es die Heimat des CDU-Politikers Philipp Amthor ist. Und ebendieser ist gefühlt an jeder Straßenlaterne abgebildet, in ganz MV. Er scheint eine regionale Größe zu sein. Vielleicht polarisiert er zu Hause nicht so stark wie im Rest der Republik.
Später, inzwischen ist Brandenburg auch schon durchquert, steige ich am Berliner Ostkreuz um. Mein Ziel sind die Berliner Vorortstraßenbahnen. Dazu muss ich etwas erklären. Es gibt in Berlin, vor allem im Ostteil, ein großes und weitverzweigtes Straßenbahnnetz. Es ist das größte in Deutschland und sogar eines der größten weltweit. Daneben gibt es noch zwei andere Straßenbahnlinien, die in Berlin starten und in die Brandenburger Dörfer hinausfahren. Für solche Überlandstraßenbahnen habe ich eine gewisse Faszination. Vielleicht liegt es daran, dass Straßenbahnen für mich etwas sehr Städtisches sind und sie nicht so recht aufs Land passen. Vielleicht auch, weil die Strecken meist sehr schön liegen und man viel zu Gucken hat.
Wenn man den S-Bahnhof Friedrichshagen nach rechts verlässt, sieht es ganz urban aus. Hier fahren die normalen Berliner Straßenbahnen.
Verlässt man den S-Bahnhof auf der linken Seite, sieht es gleich schon viel grüner aus. Und hier fährt sie, die Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn.
Mit einer Tatra-Straßenbahn, noch aus tschechoslowakischer Produktion, geht es aus Berlin heraus, parallel zu einer Landstraße. Zuerst erreicht man Schöneiche, einen hübschen kleinen Ort mit alten Kopfsteinstraßen und schönen alten Häusern. Es geht über Kreisverkehre, am Rathaus und am »Marktplätzchen« vorbei. Dann verlässt die Bahn Schöneiche und fährt, wieder parallel zur Landstraße einige Kilometer bis nach Rüdersdorf, wo es ebenfalls sehr schön ist. Die Fahrt, die länger dauert als gedacht, endet an einer Gleisschleife dort, wo der Ort langsam ausfranst. Lediglich eine Tankstelle kann mir ein Brötchen zur Wegzehrung verkaufen. Die Rückfahrt trete ich mit einem moderneren Fahrzeug an, einer finnischen Straßenbahn, die urspünglich in Helsinki fuhr.
Zurück in Berlin geht es weiter zum S-Bahnhof Rahnsdorf. Hier fährt die eigentlich noch sehenswertere Woltersdorfer Straßenbahn. Das liegt unter anderem an den Fahrzeugen. Hier fahren tatsächlich fast ausschließlich historische Straßenbahnen im ganz normalen Linienbetrieb. In meinem Fall ist das eine in der DDR gefertigter »Lindnerwagen« aus dem Jahr 1960.
Zuerst geht die Fahrt für einige Minuten durch den Wald, dann geht es hinein nach Woltersdorf. Die Straßen sind teilweise eng und verschlungen, es ist etwas hügelig. Es geht an einem Marktplatz vorbei und am historischen Krankenhaus, auch der Rest des Ortes ist hübsch anzuschauen. Nach etwa einer halben Stunde ist die Fahrt an der Woltersdorfer Schleuse zuende. Nach absolvierter Straßenbahnfahrt kann man hier am Rande des wirklich schönen Hafenbeckens Kaffe und Kuchen genießen. Wer also für ein paar Tage in Berlin ist und nach einem Ausflugsziel sucht, dem sei insbesondere die Woltersdorfer Straßenbahn wärmstens empfohlen.
Über Bremen wird manchmal augenzwinkernd gesagt, es sei »ein Dorf mit Straßenbahn«. Auf Schöneiche, Rüdersdorf und Woltersdorf trifft das ganz unironisch zu.