Es ist ein nieseliger Morgen, als ich am Chemnitzer Bahnhof zu meiner nächsten Etappe starte. Zuerst geht es mit einem der letzten deutschen Regionalzüge, die noch Abteilwagen einsetzen, in Richtung Leipzig. Ich habe ein Abteil für mich und kann dabei zusehen, wie das hügelige Chemnitzer Umland ins flachere Leipziger Umland übergeht. In Leipzig dann der Umstieg nach Halle. Einen kurzen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, doch länger in Leipzig zu bleiben. Aber das wäre nicht besonders zielführend, denn Leipzig kenne ich bereits. In Halle war ich dagegen noch nie.
Das Bahnhofsumfeld in Halle ist ziemlich abschreckend. Auto- und Fußverkehr wurden hier gestapelt. Lange Unterführungen für Fußgänger und somit größere Umwege sind die Folge. Dafür kann man vom Bahnhof aus bequem ins Stadtzentrum laufen. Die Fußgängerzone beginnt direkt hinter dem Bahnhof.
Halle ist eine schöne Stadt. Nicht nur die Innenstadt, auch weitere Stadtteile sind vollständig erhalten geblieben bzw. renoviert worden. Größere Stilbrüche wie in Chemnitz bleiben zunächst einmal aus. Besonders begeistert bin ich von der schieren Größe des Stadtzentrums. Es gibt gefühlt unzählige Straßen und Plätze und überall gibt es etwas zu sehen. Diverse Kirchen, viele Museen, Türme und sogar eine Burg sind alle fußläufig erreichbar.
Als ich auf dem weitläufigen Marktplatz ankomme, entdecke ich große Aufsteller, die den Tag der deutschen Einheit ankündigen. Die Feierlichkeiten dazu, die auch immer viele Touristen anlocken, finden 2021 nämlich genau hier statt, in Halle. Dafür wurde schon so einiges aufgebaut. In einer als »Expo« bezeichneten Open-Air-Ausstellung stellen sich die deutschen Bundesländer selbst vor. Dazu wurde ein Rundgang durch die Innenstadt angelegt mit verschiedenen Themenstationen. Und zu jedem Thema können dann die Bundesländer zeigen, was sie so drauf haben. Ich mag diese Bundesländer-Expos sehr gerne. Die letzte habe ich 2019 in Kiel besucht, dort war es eine richtige Massenveranstaltung. Das Konzept in Halle scheint pandemiebedingt die Menschen mehr über die gesamte Stadt zu verteilen, was doch sehr zu begrüßen ist.
Auf dem Marktplatz gibt es auch schon einige regionale Speisen aus den Bundesländern zu probieren. Unter anderem bietet das Saarland Flammkuchen an und Rheinland-Pfalz Wildbratwurst und Wein.
Bei meinem Gang durch die Innenstadt fällt mir dann irgendwann doch ein archtektonischer Stilbruch auf, allerdings völlig unerwartet. Dicht an dicht neben historischen Häusern stehen Plattenbauten. Allerdings nicht als große freistehende Häuserblocks sondern als Reihenhäuser mit improvisierten Giebeldächern. Auf den ersten Blick mutet das seltsam an, vor allem weil es ungewohnt ist. Später erfahre ich, dass zu Zeiten der DDR einige historische Innenstadthäuser so verfielen, dass akut Ersatzbauten notwendig waren. Und die sehen dann eben so aus. Und ehrlicherweise fügen sich diese Häuser dann doch besser in die Stadt ein, als es Glas-und-Stahl-Häuser täten.
Ein Besuch in Halle ist nicht möglich, ohne auch die örtliche Synagoge zu besuchen. 2019 gab es hier einen Anschlag. Nur eine starke Holztür verhinderte, dass die Jüdinnen und Juden, die gerade drinnen Jom Kippur feierten, brutal ermordet wurden. Dennoch gab es zwei Todesopfer. Die Synagoge ist fast gar nicht sichtbar, eine hohe Mauer und eine ständige Polizeipatrouille schreitet diese Mauer ab, immer hin und her. Die Holztür ist mittlerweile ersetzt, einzig eine Gedenktafel erinnert an das Attentat.
Vielleicht bin ich durch Görlitz etwas abgestumpft, vielleicht lag es auch am Wetter, aber ich konnte die Schönheit von Halle gar nicht richtig genießen. Dabei ist Halle eine interessante Stadt, in der ich mich sofort wohlgefühlt habe. Ich bin sehr froh, dass ich hier hergekommen bin und so ein bisschen hoffe ich, dass es nicht das letzte Mal war.
Was ich zum Beispiel, abseits der vielen Museen und Musikerhäuser, unter anderem von Joseph Haydn und Wilhelm Friedemann Bach, noch nicht gesehen habe, ist Halle-Neustadt. In der DDR war Halle-Neustadt eine eigenständige Stadt, seit der Wende gehört es fest zu Halle. Dort wurden in sehr großem Stil Wohnblöcke in Plattenbauweise errichtet und ein Stadtzentrum gleich dazu. Es wäre interessant gewesen, das dortige Konzept mit dem von Eisenhüttenstadt zu vergleichen, aber das muss wohl noch einige Zeit warten. Im alten Halle gab es für heute schon genug zu sehen.