Der Himmel ist grau und bedeckt, als ich in Halle in den Zug steige. Heute steht eine weite Reise an. Zuerst fahre ich nach Zwickau, um dort umzusteigen. Ich habe eine halbe Stunde Zeit, ehe mein Anschlusszug fährt, doch sowohl im Bahnhof als auch draußen auf dem Vorplatz gibt es nichts zu sehen. Die Mehrzahl der Läden im Bahnhofsgebäude steht leer, alles sieht abgenutzt und wenig gepflegt aus. Und seit das lokale Verkehrsunternehmen entschieden hat, dass die Straßenbahn Zwickau nicht mehr zum Hauptbahnhof fahren soll, sieht der Vorplatz noch leerer aus als ohnehin schon.
Vielleicht tue ich Zwickau Unrecht mit meinem Urteil, in die Stadt hineingelaufen bin ich schließlich nicht. Und gerade Halle hat mir gezeigt, dass man nicht vorschnell von einem Bahnhofsumfeld auf eine ganze Stadt schließen sollte. Jedenfalls bin ich froh, als ich in den Zug nach Hof steigen kann.
Dort steige ich in einen Zug, der mich nach Nürnberg bringen wird. Eine junge Frau in meinem Alter setzt sich mir gegenüber und bietet mir eine OP-Maske an. Ich lehne dankend ab, schließlich habe ich mich vor der Reise gut mit FFP2-Masken eingedeckt.
»FFP2-Masken sind gar nicht so gut, OP-Masken sind besser«, sagt sie. Das ist mir neu.
»Durch die FFP2-Masken kommt der Sauerstoff nicht durch, das ist gar nicht gut fürs Gehirn. Meine Freundin sagt das, die ist Krankenschwester.«
Auf meinen Einwand, dass mir von Ärzten FFP2-Masken empfohlen wurden, meint sie: »Die verdienen alle nur Geld damit!«
Nach einigem Hin und Her lerne ich, dass Impfstoffe eigentlich gar nicht wirken, aber Politiker viel Geld damit verdienen. Außerdem würden Ärzte absichtlich lügen. Da mir langsam klar ist, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickeln wird, bin ich ganz froh, dass eine komplizierte Fahrkartenkontrolle den halben Zug ablenkt. Ich widme mich einem Podcast und der inzwischen bergigen Landschaft draußen vor dem Fenster. Die Wolkendecke hat sich verzogen und die Sonne strahlt mir ins Gesicht. Ich bin ein bisschen traurig, dass gerade heute die lange Zugfahrt ansteht und ich nicht draußen sein kann.
In Nürnberg steige ich in den letzten Zug des heutigen Tages, er bringt mich nach Stuttgart. Als ich den Zug wieder verlasse, ist es bereits Abend.
Mein Verhältnis zu Stuttgart ist ambivalent. Einerseits gibt es wirklich hübsche Ecken und Grünanlagen. Andererseits ist die Stadt insgesamt wirklich kein Schmuckstück. Warum die Mieten hier so teuer sind, habe ich noch nie verstanden. Da wäre zum Beispiel die Königstraße, die Haupteinkaufstraße. Sie sieht in weiten Teilen richtig schlimm nach einer Zeitreise in die 1980er-Jahre aus. Als ich dort ankomme, sehe ich nur Menschenmassen. Es ist so voll wie auf einem stark frequentierten Jahrmarkt. Dicht an dicht drängen sich die Menschen, ein Überholen ist schwer möglich. Schließlich schwimme ich in der Masse mit, bis ich in einer Nebenstraße ausgespuckt werde. So etwas muss ich nicht unbedingt haben, gerade nicht in einer Pandemie.
Mit Stuttgart ist es ein bisschen so wie mit Bremen. Wenn man glaubt, eine ganz hübsche Straße gefunden zu haben, mit vielen schönen Altbauten, dann muss es immer diese Häuser geben, die sich in den 50er- und 60er-Jahren dazwischengequetscht haben und die stilistisch wirklich gar nicht zum Rest der Häuser passen. In den Teilen Stuttgarts, die ich heute sehe, halten sich hübsche Altbauten und etwas dreckige Nachkriegsbauten ungefähr die Waage. Die Nachkriegsbauten bleiben mir eher im Kopf, dadurch der Eindruck, Stuttgart sei nicht besonders schön.
Was man gut machen kann, wenn man in Stuttgart ist, ist die »Kesselwand« hochzusteigen, also den Hang des Talkessels. Etwas entfernt von der Innenstadt laufe ich den zwei Kilometer langen Wanderweg zum Waldfriedhof hinauf und werde mit wenig Aussicht, dafür einer Autobahn und, wenig verwunderlich, viel Wald belohnt. An einigen Stellen kann ich dann doch über die Stadt schauen und für diesen Anblick lohnt sich der Aufstieg dann eben doch. Außerdem tut die Bewegung ganz gut, nach einem Tag im Zug.