Am 26. Mai finden in Bremen nicht nur, wie überall sonst auf dem Kontinent, die Europawahlen statt, sondern auch die Bürgerschaftswahl. Zeit für einen kleinen Rückblick und eine Einschätzung der unterschiedlichen Parteien und ihrer Ziele.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Nach der vergangenen Bürgerschaftswahl hatte die SPD bereits einen großen Stimmenverlust hinnehmen müssen, der bisherige Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) trat nur kurz nach dem Wahltag zurück. Auf ihn folgte Carsten Sieling, der bis dahin für die Bremer SPD im Bundestag saß, dort viel mit Finanzen zu tun hatte und nicht allzu bekannt in der Bremischen Bevölkerung war. Sieling musste deshalb die Legislaturperiode nutzen, um sich einen Namen zu machen.
Oft wurde Carsten Sieling in den vergangenen Jahren vorgeworfen, zu wenig aufgefallen zu sein. Viele Bremerinnen und Bremer wussten lange nicht, wofür Carsten Sieling eigentlich steht. Und wissen es vermutlich auch heute nicht. Denn die Wahlkampagne der SPD könnte viel schwächer nicht sein. Unter dem Motto »Wir lieben Bremen« werden mehr oder weniger Plattitüden auf die Plakate gedruckt. »Weltoffen seit der Hanse.« »Bremen geht nur sozial.« »Bremisch by nature.« Das konkreteste Ziel ist da noch, dass die SPD kostenfreie Kitas fordert.
Dabei gäbe es vieles, was die Bewohner des kleinsten Bundeslandes bewegt. Eine Positionierung zur Bebauung der Bremer Galopprennbahn auf einem Plakat? Fehlanzeige! Ein klares Bekenntnis zum sozialen Wohnungsbau? Auch nicht! Lösungen für Menschen in Armut? Nicht auf den Plakaten der SPD.
Und das ist schade. Bei der SPD scheint sich keiner zu trauen, einen Wahlkampf mit klaren Ansagen zu führen. Bislang war sie immer stärkste Kraft in Bremen, aber schon sehr bald könnte sie diesen Status verlieren. Und zwar an die …
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)
Die CDU holt auf. Zumindest, wenn man den Wahlprognosen glauben darf. Dort lagen CDU und SPD zuletzt gleichauf. Das war allerdings noch vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfes.
Zu dieser Bürgerschaftswahl zaubert die CDU ein ziemliches Ass aus dem Ärmel. Carsten Meyer-Heder (zunächst parteilos, dann doch CDU), bislang wenn überhaupt als Gründer der Digitalagentur Team Neusta bekannt, tritt für die Konservativen an. Carsten Meyer-Wer? So lautete es auch auf den ersten CDU-Wahlplakaten. In der Politik ist Meyer-Heder ein Neuling, was Vor- und Nachteile haben kann.
So hängt Meyer-Heder nicht das etwas dröge Image der restlichen Bremer CDU an. Auch seine Wahlkampagne wirkt frisch und anders. Carsten Meyer-Heder inszeniert sich als Macher und versucht, mit markigen, teils auch etwas ironischen Sprüchen zu punkten.
Was die Wahlplakate gut machen, zieht das Auftreten Meyer-Heders allerdings wieder nach unten. Rhetorisch brilliert Meyer-Heder nicht unbedingt und so einige ins Blaue hinein getätigte Aussagen musste der Spitzenkandidat schon wieder zurückziehen, nachdem es Ärger mit der Parteispitze gegeben hatte.
So wirkt es immer mehr wie eine Verzweiflungstat, dass die CDU keinen Kandidaten aus ihren eigenen Reihen aufgestellt hat. Nachdem beispielsweise Thomas Röwekamp noch stark mit der zum Schluss ungeliebten großen Koalition in Verbindung gebracht wird und Elisabeth Motschmanns Wahlkampf von der letzten Bürgerschaftswahl eher als peinlich bezeichnet werden kann, muss es nun jemand von außen richten. Man wird sehen, ob Meyer-Heder diesem Wahlkampf wirklich gewachsen ist.
Bündnis 90/Die Grünen (GRÜNE)
Als Juniorpartner in der aktuellen rot-grünen Koalition in der Bremischen Bürgerschaft haben sich die Grünen vor allem im Bereich Finanzen hervorgetan. Finanzsenatorin Karoline Linnert hat Bremen langsam aber sicher aus der Überschuldung herausgeführt, der Dank dafür sind rund 400 Millionen Euro, die das Land Bremen ab 2020 zusätzlich aus dem Länderfinanzausgleich bekommt.
Damit es soweit kommen konnte, war in den letzten Jahren eine rigide Sparpolitik notwendig, mit der sich Linnert sicher nicht nur Freunde gemacht hat. Auch die teils marode Infrastruktur Bremens und Bremerhavens (zum Beispiel Schulen und Straßen) ist sicher auch eine Folge dieses Sparens.
Nach einem internen Streit tritt jetzt aber nicht Linnert sondern Maike Schaefer, die bisherige Fraktionsvorsitzende, als Spitzenkandidatin ihrer Partei zur Bürgerschaftswahl an. Das kann, wie auch schon bei der CDU eine Chance auf einen Neubeginn sein, denn durch ihr Sparen hat sich Karoline Linnert in der Bevölkerung sicher nicht nur Freunde gemacht.
Schaut man sich allerdings die Plakate der Grünen an, so erkennt man auf den schnellen Blick relativ wenig. Nicht nur, dass die Grünen scheinbar weniger Plakate geklebt haben als die anderen Parteien – die Plakate sind auch noch kleiner. Das mag aus ökologischen Gesichtspunkten sicher sinnvoll sein, doch leider ist der Plakatinhalt nicht darauf ausgelegt. Die Schrift ist zu klein und zu unruhig, so dass mir kein Plakat der Grünen für die Bürgerschaftswahl wirklich im Gedächtnis geblieben ist.
Die Linke (DIE LINKE)
Nachdem sich die Linke vor zwei Legislaturperioden in Bremen zum ersten Mal eine Fraktion in einem westdeutschen Landtag stellen konnte, war man noch unsicher, wie die Partei nun auftreten würde. Inzwischen fällt die Bremer Linkspartei vor allem durch ihre Expertise in Sozialpolitik auf und wird sich, laut Prognosen, auch weiterhin in der Bremischen Bürgerschaft halten können.
Die Plakatkampagne ist einfach, aber wirkungsvoll. Die Ziele der Linken sind ohne große Umschweife abgedruckt, auch kontroverse Forderungen.
Sollte die Linkspartei an der nächsten Regierung beteiligt sein, wird sich aber erst herausstellen, ob diese Ziele auch wirklich eingehalten werden können. Koalitionsverhandlungen können vieles kaputtmachen, das musste die SPD auf Bundesebene schon öfter schmerzlich erfahren. Wie realistisch kostenloser Nahverkehr und Stadtentwicklung ohne Investoreninteressen sind, so schön es auch klingt, wird sich möglicherweise erst nach der Wahl zeigen.
Freie Demokratische Partei (FDP)
Zu Zeiten der vorherigen Bürgerschaftswahl lag die FDP bundesweit am Boden. Sie hatte gerade so den Einzug in den Bundestag verpasst, sich im Anschluss ein neues Image verpasst und musste neu starten. Auch in Bremen.
Das neue Gesicht der Bremer FDP hieß Lencke Steiner (zunächst fraktionslos, dann doch FDP). Die Verpackungsunternehmenserbin machte einen Instagramwahlkampf und zog schließlich auch in die Bremische Bürgerschaft ein. Für die Bundestagswahl waren es dann in Bremen aber nicht genug Stimmen. Diesmal tritt sie wieder für die Bürgerschaft an, die Wahlplakate sind wieder im Instagram- bzw. Christian-Lindner-Stil gehalten, mal sehen, was dabei rauskommt.
Sehen kann man Lencke Steiner nicht nur auf Instagram, sondern auch im Privatfernsehen, wo sie seit einiger Zeit als Ombudsfrau in einer Ombudsleutesendung auftritt.
Bürger in Wut (BIW)
Nachdem der Radio-Bremen-Quatschreporter Hinrich Lührssen bei der AfD herausgemobbt wurde, versuchte er es beim AfD-Verschnitt Bürger in Wut. Die Partei ist sogar älter als die AfD, die Ziele unterscheiden sich allerdings nur marginal. Mit dem Unterschied, dass die Bürger in Wut nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Und sie keine rechtsextreme Jugendorganisation haben.
Zumindest optisch und auch vom Auftritt her, ähnelt Hinrich Lührssen zumindest entfernt Donald Trump. Unterhaltsam ist Lührssen sicherlich auch bei den Bürgern in Wut. Ob die Partei es aber in die nächste Bürgerschaft schafft, ist fraglich.
Alternative für Deutschland (AfD)
Nachdem Hinrich Lührssen überraschend doch nicht Spitzenkandidat der AfD Bremen wurde (siehe oben) wurde der Parteiführung um Frank Magnitz von mehreren Seiten undemokratisches Verhalten vorgeworfen. Doch Magnitz, der im Augenblick noch Bundestagsabgeordneter ist, zeigt sich davon unbeirrt und toleriert nebenbei noch offenen Rechtsradikalismus innerhalb seiner Partei und der angeschlossenen Jugendorganisation. Sicher, eine Demokratie muss vieles aushalten, aber AfD wählen muss man ja trotzdem nicht.
Damit ist ein kurzer Überblick über die parteipolitische Situation in Bremen geliefert. Ein Anspruch auf Neutralität ist dabei natürlich nicht gegeben. Trotzdem hoffe ich, einige Denkanstöße geliefert zu haben. Wenn ihr in Bremen oder Bremerhaven wohnt, geht unbedingt wählen! Und wenn ihr in Europa wohnt, natürlich auch.