Spazieren gehen. Wie klingt das? Das klingt nach den Großeltern, die, um ihre Zeit zu vertreiben, Tag für Tag »eine Runde drehen«. Das klingt nach dem Teil von Familienfesten, der zwischen dem Mittagessen und dem Kaffeetrinken liegt. Man könnte also meinen, das Spazieren sei ein längst überholtes Konzept für das in einer heutigen, schnelllebigen und digital vernetzten Welt gar kein Platz mehr bleibt.
Und tatsächlich: Eine Umfrage unter Freunden ergibt eine nicht allzu große Bereitschaft zum vermeintlich sinnfreien Herumspazieren. Überhaupt dieses Wort – Spazieren klingt dem Stolzieren doch nicht gerade unähnlich.
Ich bin ein leidenschaftlicher Spaziergänger.
Doch an dieser Stelle muss ich mich outen. Ich gehe gerne raus, einfach so, ohne Ziel. Dann spaziere ich durch die Straßen meiner Stadt, vielleicht durch einen Park oder am Fluss entlang. Manchmal, wenn ich Lust auf etwas mehr Strecke habe, nehme ich noch mein Fahrrad mit, wobei das ziellose Radfahren ja noch eher gesellschaftlich akzeptiert ist.
Trete ich einen Spaziergang an, gibt es verschiedene Dinge, die dabei zu tun sind. In den meisten Fällen nehme ich Kopfhörer mit und lausche unterwegs zu Podcasts, einem wortlastigen Radioprogramm (wie Deutschlandfunk oder Deutschlandradio Kultur) oder meinen Spotify-Favoriten. Wenn mich diese Optionen nicht reizen, lasse ich meine Gedanken schweifen. Dann denke ich an die Politik, an Leute, die mir wichtig sind oder an Dinge, die mich gerade beschäftigen oder aufwühlen.
Gerade das Nachdenken fällt mir beim Spazieren deutlich leichter. Sobald ich in Bewegung bin und an immer anderen Orten vorbeikomme, inspirieren mich meine äußeren Umstände ungemein. Ein interessanter Nebeneffekt: Wenn ich jetzt im Nachhinein an Dinge denke, die mich auch auf einem Spaziergang beschäftigt haben, erinnere ich mich teilweise ganz genau, an welchem Ort ich mich bei diesem Gedanken befunden habe.
Als Spaziergänger sieht man die Welt aus einer anderen Perspektive.
Sobald man selbst in die Rolle des Spaziergängers geschlüpft ist, bemerkt man erst die anderen Leute, die ebenfalls auf den Beinen sind. In Wohngebieten sind es oftmals gar keine Spaziergänger, sondern nur Anwohner, die auf dem Weg zur Haltestelle oder zum Einkaufen sind. In Parks sind es häufig Hundebesitzer, die ihr Haustier ausführen müssen. Allzu oft sind es Jogger, die vor allem abends und nachts kaum zu sehen sind. Und es sind die eingangs erwähnten Rentner, die nun, wo sie massig Zeit haben, erst einmal ihre Umgebung näher kennenlernen.
Es ist natürlich schwierig, von außen die Intentionen der anderen Fußgänger festzustellen. Ich kann nicht genau sagen, ob die mir gerade entgegenkommende Person auf dem Weg zur Arbeit ist, ob sie gerade vom Arzt kommt oder ob sie, so wie ich, ohne weitergehenden Zweck einfach nur herumspaziert. Dennoch habe ich das Gefühl, dass letzteres auf nicht allzu viele Passanten zutrifft.
Obwohl wir in einer individualisierten Gesellschaft leben, in der die Interessen des Einzelnen eine ungeheure Wichtigkeit haben, lohnt es sich ebenso, den Spaziergang gemeinsam mit anderen Leuten anzutreten. Auf dem Weg, egal wohin, kann man sich wunderbar unterhalten. Gerade vor dem insgesamt inspirierenden Hintergrund des Spaziergangs, verdoppelt sich durch ein angeregtes Gespräch dieser Effekt umso mehr.
Wenn du diesen Text jetzt also liest, dann leg dein Handy weg oder schalte deinen Computer aus. Überleg mal, wie lange es her ist, dass du mal ganz ohne weiteren Zweck einfach so draußen unterwegs warst. Und nein, der Weg zur Haltestelle oder die alltägliche Radfahrt zählen hier nicht. Steh einfach mal auf und schau dir deinen Ort an. Schlendere durch die Straßen und beobachte die anderen Menschen. Öffne mal die Karten-App deines Handys und suche dir einen Ort aus, an dem du noch nie warst. Und wenn du anfangs noch nicht ganz allein mit deinen Gedanken sein willst, nimm dir tolle Musik mit oder einen Gesprächspartner. Und mit ein bisschen Glück kannst du die Welt schon bald mit anderen Augen sehen.
Alternativ kann die Karten-App auch geschlossen bleiben und man geht einfach in eine Himmelsrichtung. Ich mache das leider viel zu selten, aber jedes Mal aufs Neue entdecke ich Faszinierendes.